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Balkonböden aus WPC: ein vernachlässigtes Brandschutzrisiko? (Kopie)

Im Februar 2022 brannte in der Innenstadt von Essen ein viergeschossiger Wohnkomplex. Es entstand ein Schaden in zweistelliger Millionenhöhe. Drei der Bewohner wurden verletzt, 50 Wohnungen von dem Feuer zerstört. 128 Menschen verloren ihr Zuhause.

Der kriminaltechnische Bericht über die Brandursache steht noch aus. Brandschutz-Experten ist bereits im Vorfeld aufgefallen, dass die Balkone des Wohnhauses mit Plexiglasplatten verkleidet waren. Diese gelten als normal entflammbar, brennen also nach einer Brandeinwirkung von selbst weiter. Weil Balkone nicht zur Fassade gezählt werden, wo laut den Landesbauordnungen nur schwer entflammbare Baustoffe zugelassen werden, stellt Plexiglas keine Umgehung der Brandschutzauflagen dar. Was aber für noch mehr Erstaunen sorgte, war der Umstand, dass bei dem Großbrand auch die Balkonböden in Flammen aufgegangen waren. Diese bestanden aus ebenfalls normal entflammbaren WPC-Kunststoffdielen, wie sie relativ häufig für Balkon- und Terrassenböden verwendet werden.

Additive sollen Brandschutzeigenschaften verbessern

Die Bezeichnung Wood-Plastic-Composite (WPC) weist darauf hin, dass es sich um einen synthetischen Verbund aus Holz und Kunststoff handelt. Er vereint die Vorteile dieser beiden Komponenten, aber auch deren Nachteil der Brennbarkeit. Deshalb werden brandhemmende Additive zugesetzt. Wie das Fraunhofer-Institut für Holzforschung mitteilt, beeinträchtigen solche herkömmlichen Flammschutzmittel jedoch die mechanischen Eigenschaften von WPC. Überdies müssen sie in großen Mengen – bis zu 40 Prozent – in das Holz-Polymer-Gemisch eingebracht werden, damit sie die gewünschte Brandschutzwirkung zeigen. Die Forscher lassen durchblicken, dass die dadurch erreichte Funktionalität nicht immer den Anforderungen vollauf entspricht. Eine Verbesserung der Baustoffklasse ist Gegenstand der aktuellen Forschung und Entwicklung am Produkt WPC.

Sicherheitsrisiko: brennbare Balkonplatten

Die Musterbauordnung (MBO) von 2002 sollte das Bauen vereinfachen und separiert – außer bei Rettungswegen – die Anforderungen an Balkone und Geschossdecken. Davor mussten beide aus dem gleichen Material bestehen und einen ausreichenden Feuerwiderstand bieten. In dem ausgebrannten Essener Wohngebäude, das entsprechend der geltenden Bauordnung errichtet wurde, bestanden die Balkonböden nicht aus Beton, sondern aus besagten WPC-Dielen, die genauso ein Opfer der Flammen geworden sind, wie es etwa beliebige Holzböden gewesen wären. So fraß sich nach vorläufiger Einschätzung von Fachleuten wie Peter Bachmeier von der Branddirektion München das ausgebrochene Feuer über die Schwachstelle WPC-Balkonböden vertikal von Geschoss zu Geschoss. Das Ziel sei allerdings, das Brandgeschehen bis zum Eintreffen der Feuerwehr auf einer Etage zu begrenzen.

Wenn das Wetter nicht vorschriftsmäßig ist

Auf Nachfrage des ZDF teilte das nordrhein-westfälische Bauministerium dem Sender mit, dass die Bauvorschriften „von üblichen Brandszenarien“ ausgingen und „normalentflammbare Baustoffe bei gewöhnlichen Wetterverhältnissen nicht zu einer derart raschen Brandausbreitung beitragen“. Das Sturmtief Antonia hatte im Februar für eine rasche Ausbreitung der Flammen gesorgt – ein Umstand, der im Hinblick auf die Feuerbeständigkeit von Balkonböden „behördlich offenbar nicht vorgesehen“ war.

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