Fehlendes Regelwerk zu Blitzschutzanlagen
Die Bestimmungen über den Blitzschutz sind im Gesetzestext weitgehend abstrakt formuliert, um möglichst alle denkbaren Fälle abzudecken. Dies hat jahrzehntelang zu keinen größeren Diskussionen geführt.
Seit mehreren Jahrzehnten fordern die Muster-Bauordnung (MBO) und die Landesbauordnungen mit geringen textlichen Abweichungen über Blitzschutzanlagen: „Bauliche Anlagen, bei denen nach Lage, Bauart oder Nutzung Blitzschlag leicht eintreten oder zu schweren Folgen führen kann, sind mit dauernd wirksamen Blitzschutzanlagen zu versehen.“
Erst seit dem Erscheinen der Norm – DIN EN 62305-2 bzw. VDE 0185-305-2 Risiko-Management – wird die Frage, ob Blitzschlag leicht eintreten oder zu schweren Folgen führen kann, immer wieder neu und vor allem kontrovers diskutiert. Es wäre wünschenswert, wenn in einem Regelwerk gebündelt die unbestimmten Rechtsbegriffe in konkrete Anforderungen übersetzt würden. Diese Umsetzung ist derzeit schwierig, weshalb eine Planung durch sachkundige Personen, die sich mit Blitzschutz- und Baurechtsfragen ausführlich beschäftigen, umso wichtiger ist.
Blitzschlag tritt leicht ein
Die o.g. Norm verwendet dazu einige Parameter, die jedoch nicht immer zu richtigen Entscheidungen führen. Bei der Abschätzung des Risikos wird u.a. die Häufigkeit der gefährlichen Ereignisse (Blitzeinschläge in oder neben der baulichen Anlage und in die Versorgungsleitungen für die bauliche Anlage) in Verbindung gebracht. Es ist zwar technisch einwandfrei möglich, die Blitzeinschläge in einem bestimmten Gebiet zu ermitteln, aber daraus können keine zuverlässigen Anhaltspunkte für die Zukunft ermittelt werden.
Beispielhaft werden für das Stadtgebiet von München ca. fünf Blitzeinschläge pro km² und Jahr angegeben. Die Stadt München stattete eigene Gebäude mit äußeren Blitzschutzanlagen mit einer Gesamtdachfläche von rund 2,5 km² aus. Legt man nun die statistischen Werte der Blitzeinschläge zugrunde, dann müssten pro Jahr die stadteigenen Gebäude 12,5-mal getroffen werden. Tatsächlich erfolgten jedoch im Zeitraum vom 1. März bis 28. August 2020 40 Blitzeinschläge. Selbst wenn man unterstellt, dass in dem fehlenden Halbjahr die Gewitterhäufigkeit nicht besonders hoch war, so überschreiten die tatsächlich registrierten Blitzeinschläge die statistischen Werte bereits um mehr als das Dreifache. Dieser kleine Ausschnitt zeigt, dass mit einer Risikoanalyse keine zuverlässigen Aussagen getroffen werden können, ob ein Blitzeinschlag leicht eintreten kann.
Blitzschlag kann zu schweren Folgen führen
Blitzeinschläge, die zu schweren Folgen führen können, sind aus mehreren Gesichtspunkten möglich. Die Gefahren ergeben sich im Wesentlichen aus der Nutzung der baulichen Anlage. Schwere Folgen sind zu erwarten, wenn besonders
- viele Personen oder Tiere betroffen sind,
- Personen betroffen sind, deren Selbstrettungsfähigkeit eingeschränkt ist,
- eine erhöhte Brand- oder Explosionsgefahr zu befürchten ist, oder
- durch den Ausfall sicherheitstechnischer Einrichtungen und Anlagen.
Für die Beurteilung dieses Risikos werden in der Norm verschiedene Punkte betrachtet, dazu nachstehend einige Beispiele:
Höhe des Brandrisikos
Für die Risikoermittlung wird u.a. das Brandrisiko berücksichtigt. Da dabei jedoch nur der Heizwert betrachtet. wird, lässt sich das Brandrisiko nur unzureichend beschreiben, wie das nachfolgende Beispiel zeigt: Holz hat einen Heizwert von ca. 5 kWh/kg. Ein Blitzeinschlag in ein Baumstammlager wird nach aller Wahrscheinlichkeit zu keinem Brandereignis führen. Käme es trotzdem zu einer lokalen Entzündung, würde sich der Brand zunächst äußert langsam ausbreiten; die Wahrscheinlichkeit, dass er von selbst zum Erliegen kommt, wäre zudem hoch. Liegt dieselbe Masse Holz in Form von Hackschnitzeln oder Holzstaub vor, so ist mit aller Wahrscheinlichkeit bei einem Blitzschlag mit einer Brandentstehung und einer hohen Brandausbreitungsgeschwindigkeit (vielleicht sogar mit einer Staubexplosion) zu rechnen. Entscheidend ist dabei nicht (nur) der Heizwert, sondern insbesondere das Verhältnis Oberfläche des Holzes zu seiner Masse.
Außerdem werden bei dem Brandrisiko z.B. ebenfalls nicht der
- Flammpunkt von Flüssigkeiten,
- die Explosionsgrenzen und -bereiche von brennbaren Gasen, Dämpfen und Stäuben sowie
- die Zündtemperaturen der jeweiligen Stoffe berücksichtigt.
Besondere Gefährdungen
Die Art der Gefährdungen kann zu Faktoren führen, die das Gefährdungspotential erhöhen:
- keine besondere Gefährdung: Faktor 1
- geringe Panikgefahr: Faktor 2
- durchschnittliche Panikgefahr: Faktor 5
- Schwierigkeiten bei der Evakuierung: Faktor 5
- große Panikgefahr: Faktor 10
Faktoren in der Blitzschutznorm
Es ist der Norm nicht zu entnehmen, wie die Faktoren zustande kamen. Für alle Faktoren der Blitzschutznorm stellt sich die Frage, ob diese richtig sind. Eine geringe Panikgefahr liegt vor, wenn es sich z.B. um eine bauliche Anlage mit höchstens zwei Etagen und einer Personenzahl bis 100 handelt. Unter diesen Begriff fällt bereits ein erdgeschossiges Einfamilienhaus; wann liegt dann aber keine besondere Gefährdung vor? Eine durchschnittliche Panikgefahr ist z.B. in baulichen Anlagen für kulturelle oder sportliche Veranstaltungen mit zwischen 100 und 1.000 Besuchern vorhanden. Nachdem diese Art der baulichen Anlage zum gleichen Faktor 5 führt wie bei einer Anlage mit Schwierigkeiten bei der Evakuierung (Krankenhäuser, Alten- und Pflegeheime), ist es fraglich, ob diese Bewertung oder Beurteilung sachgerecht ist. Aus Sicht eines Feuerwehrmanns sicherlich nicht.
Die Rettung einer Vielzahl von Personen aus einem Krankenhaus wird sicher wesentlich schwieriger sein als die Rettung aus einer Sportstätte. Die Besucher können i.d.R. die baulichen Rettungswege ohne fremde Hilfe begehen. Sobald sich die Besucher einer Versammlungsstätte auf der öffentlichen Verkehrsfläche befinden, sind die Rettungsarbeiten beendet. Bei der Rettung von Patienten aus Krankenhäusern oder Bewohnern von Alten- und Pflegeheimen ist das nicht der Fall. Sie müssen von Rettungskräften im einfachsten Fall begleitet oder gestützt, in den meisten Fällen sogar getragen werden. Zudem können sie auf der öffentlichen Verkehrsfläche nicht sich selbst überlassen werden, sondern müssen zusätzlich in andere Einrichtungen transportiert werden. Dies erfordert einen zusätzlich hohen Dispositionsaufwand und eine Vielzahl an weiteren Rettungskräften.
Buchtipp: „Blitzschutz in der Praxis“ von Joseph Messerer, Reinhard Schüngel, Frank Kosterhon, erscheint im September 2021 bei FeuerTrutz Network.
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