BRANDSCHUTZ – FACH­IN­FOR­MA­TIO­NEN FÜR PROFIS

Artikel

Blitzeinschlag – das unkalkulierbare Risiko?

Gemäß § 46 Musterbauordnung (MBO) sind bauliche Anlagen, bei denen nach Lage, Bauart oder Nutzung Blitzschlag leicht eintreten oder zu schweren Folgen führen kann, mit dauernd wirksamen Blitzschutzanlagen zu versehen. Diese abstrakte Formulierung, die in nahezu wortgleicher Form in zahlreichen Landesbauordnungen zu finden ist, führt bei der Anwendung in der beruflichen Praxis zunehmend zu Problemen.

Bei Standardbauten und ungeregelten Sonderbauten gemäß MBO muss die Notwendigkeit einer Blitzschutzanlage im Einzelfall festgelegt werden. Dies fällt schwer, denn es existiert in der Bundesrepublik kein technisches Dokument, das als verlässliche Bewertungsgrundlage herangezogen werden kann. Insbesondere die Risikoanalyse gemäß DIN EN 62305-2 bzw. VDE 0185-305-2 gilt in Fachkreisen als umstritten. In der MBO wird zwischen zwei eigenständigen Anforderungen bezüglich der Eintrittswahrscheinlichkeit und der Folgen des Blitzeinschlags unterschieden. Bereits einer der beiden Faktoren führt zur Notwendigkeit einer Blitzschutzanlage.

Die Eintrittswahrscheinlichkeit des Blitzschlags wird im Gesetzestext dahin gehend konkretisiert, dass damit die Lage, Bauart oder Nutzung der baulichen Anlage gemeint ist. Es sind somit vermutlich die baulichen Faktoren, der Bezug auf das umliegende Gelände und deren Höhenbezüge gemeint. Der zweite Teil stellt den Schaden eines Blitzeinschlags in den Fokus. Leider fehlt sowohl in der MBO als auch in den zugehörigen Erläuterungen eine abschließende Klarstellung, was damit genau gemeint ist. Das Abzielen auf die potenzielle Brandgefahr durch Blitzeinschlag wäre zu einfach – letztlich wären in diesem Fall alle baulichen Anlagen mit Blitzschutzanlagen auszustatten.

Genau aus diesem Grund werden in allen Gebäuden in Abhängigkeit von Gebäudeklasse und Nutzung verschiedenste Brandschutzvorkehrungen getroffen. Hinsichtlich der Brandausbreitung oder der Personenrettung ist es dabei völlig unerheblich, ob die konkrete Brandentstehung durch technischen Defekt, Fahrlässigkeit oder Blitzeinschlag verursacht wird. Allein die Brandentstehung dürfte daher nicht ohne weitere Analyse als schwerer Schaden zu bezeichnen sein. Es ist daher anzunehmen, dass ein schwerer Schaden in erster Linie bei baulichen Anlagen, deren Nutzung durch Umgang oder Lagerung von Stoffen mit Explosions- oder erhöhter Brandgefahr im Sinne § 2 Absatz 4 Nummer 19 MBO verbunden ist, unterstellt werden muss. Bei Regelbauten oder anderen Sonderbauten muss ein „schwerer Schaden“ bei Blitzeinschlag dagegen nicht unmittelbar befürchtet werden. Aus Blitzschlag können neben der Gefahr einer Brandentstehung auch Schäden für Personen (durch Direkteinschlag, Blitzüberschlag oder Spannungstrichter) resultieren. Aber auch in diesem Fall wäre nicht plausibel nachzuvollziehen, warum das Gefahrenpotenzial lediglich bei besonderen Gebäudenutzungen als schwerer Schaden anzusehen ist. Wären ernsthafte Verletzungen oder gar Todesfälle durch Blitzschlag grundsätzlich als schwerer Schaden zu betrachten, müsste folglich jedes Gebäude mit einer Blitzschutzanlage ausgestattet werden. Somit führt auch eine Bezugnahme auf Gesundheitsgefahren durch Blitzschlag nicht zu einer schutzzielbezogenen Bewertung.

Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass durch Blitzeinschlag auch indirekte Gefahren durch Beschädigungen von sicherheitstechnischen Anlagen und Einrichtungen befürchtet werden müssen. Da ein plötzlicher Ausfall der sicherheitstechnischen Infrastruktur in Abhängigkeit von der konkreten Gebäudenutzung erfolgen kann, wäre eine Bezugnahme auf derartige Auswirkungen eines Blitzschlags als schwerer Schaden naheliegend. Die vorgenannten Ausführungen machen deutlich, dass der Gesetzestext des § 46 MBO dringend einer konkretisierenden Erläuterung bedarf.

Brandschutzfachplanern und den prüfenden Instanzen fehlt derzeit eine nutzbare Bewertungsgrundlage, wann bauliche Anlagen mit einer Blitzschutzanlage auszustatten sind. Es ist zu befürchten, dass im Zuge zivilrechtlicher Auseinandersetzungen jede Gefahr eines Blitzeinschlags aufgrund der potenziellen Brand- oder Verletzungsgefahr unreflektiert als schwerer Schaden angesehen wird. Die aktuellen Ausführungen der MVV TB tragen gegenwärtig leider nicht zur Aufklärung bei. Mit Abschnitt A 2.1.15.2 MVV TB ist jedoch bereits die ideale Grundlage für eine weitergehende Erläuterung gegeben.

Quelle (40)

Zurück